Kooperation statt Zwang: Warum ein „Ja“ nur dann zählt, wenn ein „Nein“ erlaubt ist

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Stell dir vor, du sitzt beim Zahnarzt. Du hast Angst, dein Herz schlägt bis zum Hals – aber du weißt: Wenn du die Hand hebst, wird die Behandlung sofort unterbrochen. Du hast die Kontrolle. Allein diese Sicherheit kann den entscheidenden Unterschied machen.

Genau das zeigt eine Studie mit Menschen mit Zahnarztphobie: Wer Nein sagen darf – und sicher ist, dass es respektiert wird –, sagt eher Ja.

Was hat das mit unseren Pferden zu tun? Sehr viel. Denn gerade im Medical Training geht es um Vertrauen, Freiwilligkeit und Kommunikation. Und um die Frage, die wir uns als Tierhalter immer wieder stellen sollten:

Welchen Wert hat ein „Ja“, wenn ein „Nein“ keine Option ist?

Was sind Kooperationssignale?

Kooperationssignale – auch Consent Cues oder Start-Buttons genannt – sind klare, erlernte Verhaltensweisen, mit denen ein Tier „zustimmt“ oder „ablehnt“, an einer bestimmten Prozedur teilzunehmen. Das kann ein Delfin sein, der sich auf den Rücken dreht und seine Schwanzflosse zur Blutabnahme anbietet, ein Hund, der auf einer Matte Platz nimmt, oder ein Pferd, das seinen Kopf bzw. seine Unterkieferäste auf einem sogenannten Kooperator ablegt – und jederzeit zurückziehen darf.
Das Schöne dabei: Dein Pferd lernt, dass sein Verhalten eine Bedeutung hat. Es wird gesehen, respektiert und ernst genommen.

Warum ist das wichtig?

Tiere haben im Alltag kaum Kontrolle über medizinische Abläufe. Sie werden hochgehoben, fixiert, gepikst, gewaschen, festgehalten. All das kann Angst, Stress und sogar langfristige Abwehrverhalten auslösen. Besonders tragisch: Viele Tiere erleben, dass ihre Versuche, sich zu entziehen, ignoriert oder unterdrückt werden. Ihr „Nein“ hat keinen Wert – also geben sie irgendwann auf. Man spricht dann von erlernter Hilflosigkeit.

Medical Training mit Kooperationssignalen durchbricht diesen Teufelskreis. Es gibt dem Tier eine Stimme. Eine Wahl. Und damit auch wieder Vertrauen.

Freiwilligkeit ist kein Luxus, sondern Grundlage für echte Kooperation.

Wenn dein Pferd weiß, dass es jederzeit „Nein“ sagen kann, ist sein „Ja“ umso bedeutsamer. Es wird nicht durch Angst, Zwang oder Nachlassen von Druck motiviert, sondern durch echtes Vertrauen und Sicherheit in der Situation. Genau wie beim Menschen mit Zahnarztphobie: Die Option des Abbruchs nimmt nicht nur Angst, sondern erhöht auch die Bereitschaft zur Mitarbeit.

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Startsignal vs. Dauerkooperation: Zwei Wege zur Kommunikation im Medical Training

Diese Mitarbeit erreichst du über verschiedene Wege. Medical Training soll eben nicht nur funktionieren – es soll sich für dein Pferd sicher und freiwillig anfühlen. Zwei Konzepte spielen dabei neben einem reinen Stillhalten eine wichtige Rolle: das Startsignal und die Dauerkooperation. Beide verfolgen das gleiche Ziel, die Freiwilligkeit, aber sie funktionieren unterschiedlich. Doch worin genau liegt der Unterschied?

Startsignal: „Ich bin bereit“, der „IBB-Button“

Ein Startsignal ist ein Verhalten, das dein Pferd gezielt zeigt, um dir zu sagen:
👉 „Ich bin bereit, wir können anfangen.“

Das kann z. B. sein:

  • Es tritt auf eine Matte.
  • Es berührt mit seiner Nase einen Target.
  • Es flehmt.

Mit diesem Verhalten gibt dein Pferd sein aktives Einverständnis, dass die folgende Handlung (z. B. Bürsten, Spritzen, Blutabnahme) beginnen darf. Wichtig dabei im Training: Wird dieses Signal nicht gezeigt, findet von deiner Seite aus auch wirklich nichts statt!

Das Startsignal gilt folglich für den Beginn – es ist wie ein Türöffner. Es sagt: „Okay, los geht’s.“ Es sagt aber nicht: „Ich bleibe währenddessen ruhig und mache weiter mit.“ Du musst also stets die Reaktionen deines Pferdes im Auge behalten und bei (Ausweich-) Bewegungen entsprechend reagieren.

Dauerkooperation: „Ich mache mit, solange ich mich sicher fühle“

Bei der Dauerkooperation signalisiert dein Pferd nicht nur den Start mit einem willkürlich ausgeführten Verhalten, sondern auch durchgehend durch das längere Einhalten einer bestimmten Position, dass es weiterhin einverstanden ist.

Typisch dafür ist ein Verhalten, das das Tier über längere Zeit aufrechterhält:

  • Die Unterkiefer-Äste bleiben auf dem Kooperator liegen.
  • Die Hufe bleiben auf einem Bodentarget.
  • Die Nase „klebt“ am Start-Button.

Sobald dein Pferd beim Eingriff/ deiner Handlung nicht mehr immobil ist, bedeutet es:
🛑 „Dieser Trainingsschritt war zu groß, ich kann nicht stillhalten.“ Oder auf Hochdeutsch: „Ich bin nicht mehr einverstanden mit dem, was du tust.“

Das ist besonders wertvoll – denn es gibt dem Tier während der gesamten Prozedur die Kontrolle, nicht nur am Anfang. So entsteht ein echter Dialog.

Ein praktischer „Kooperator To Go“ ist schnell gebastelt:

Wann setzt du was ein?

Beide Varianten haben ihre Berechtigung – je nach Pferd, Aufgabe, Trainingsstand und Situation. Zahnkontrolle- und Pflege z.B. ist auf dem Kooperator einfach unschlagbar. Die orale Medikamentengabe wiederum trainieren wir gerne mit einem Start-Button.

Was bedeutet der Einsatz von „Consent Cues“ für uns als Pferdemenschen?
Wir alle wünschen uns ein kooperatives, angstfreies Miteinander mit unseren geliebten Fellnasen – besonders in stressigen Situationen wie dem Tierarztbesuch, der Hufbearbeitung oder bei der Wurmkur.

Denk immer daran: Wahre Kooperation beginnt mit einer einfachen Frage:
👉 Darf mein Pferd Nein sagen?
Wenn nicht – wie echt ist dann sein „Ja“?

Selbstverständlich geht es hier um das reine Training. Wann immer die Gesundheit es erfordert, sollten wir den Kontext verändern. Damit signalisieren wir, dass wir leider im Moment nicht mehr „nett“ sind und trotz Abwehrverhalten z.B. die Wunde desinfizieren.

Fazit

Kooperationssignale im Medical Training sind weit mehr als ein nettes Extra. Sie sind ein kraftvolles Mittel, um Vertrauen, Sicherheit und echte Freiwilligkeit zu fördern. Sie erinnern uns daran, dass Respekt keine Einbahnstraße ist – und dass echte Kooperation immer auf Gegenseitigkeit beruht.

Denn am Ende gilt: Wer Nein sagen darf, sagt eher Ja.
Und das gilt für Menschen wie für alle unsere geliebten Tiere.

von | Apr. 15, 2025 | Medical, Therapie

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